6.0 Innovative Ansätze zur Barrierefreiheit im Web

Um Barrieren im Web abzubauen und zu überbrücken, werden immer wieder neue Technologien erfunden und verbessert. Dabei wird nicht nur versucht, Probleme zu lösen, die durch die Zunahme der Komplexität von Webinhalten entstehen, sondern auch solche, die sich mit den Anfängen des Web eingeschlichen haben und denen bisher kaum Beachtung geschenkt wurde.

Der Einfluss großer Unternehmen

Neue Tools und Richtlinien für barrierefreies Web zu erstellen erfordert Zeit und entsprechende finanzielle Mittel. Um Barrieren ausfindig zu machen und Wege zu finden, wie diese vermieden werden können, bevor sie entstehen, bedarf es entsprechender Forschungsarbeit.

Große Unternehmen wie Facebook, Google, Apple und Microsoft haben mittlerweile eigene Abteilungen ausgebildet, die sich ausschließlich mit der Anwendung und Integration von barrierefreien Technologien beschäftigen. Die Teams setzen sich aus Kreativen, Gestaltern, Entwicklern und betroffenen Behinderten zusammen, wobei letztere nicht bloß als Berater tätig sind, sondern selbst zu den zuvor genannten Gruppen zählen.

Durch die Veröffentlichung der Ergebnisse und dem zugehörigen Quellcode [Hier: Open-Source-Software], kann die Öffentlich teilhaben. Auch kleine Unternehmen und Einzelpersonen können so von den Investitionen der Großen profitieren.

Im Folgenden seien einige Beispiele genannt, die die Wahrnehmung und Usability des Web nachhaltig beeinflusst haben und werden.

Apple

Im Rahmen des am 17. Mai 2018 stattfindenden Global Accessibility Awareness Day veröffentlicht Apple Inc. eine neue Version der Themenseite zur Barrierefreiheit auf apple.com/accessibility/. Das Thema a11y findet mit dem Slogan "Technologie ist am besten, wenn sie allen mehr Möglichkeiten gibt", sogar den Weg auf die Startseite des Konzerns. Mit emotional aufgeladenen Bildern und Videos und Texten wie "Wir wollen, dass jeder an den Momenten teilhaben kann", präsentiert sich das Unternehmen von seiner menschenfreundlichsten Seite.

Apples Hardware (von der iWatch bis zum iMac) ist mit VoiceOver ausgestattet, dem hauseigenen digitalen Assistenten für Barrierefreiheit. Dieser ermöglicht letztlich auch für blinde Menschen die Bedienung von Anwendungen und Webinhalten, vorausgesetzt, die für Programme und Websites verwendeten Codes und Strukturen halten sich an die entsprechenden Konventionen.

Mit VoiceOver hat Apple gegenüber der Konkurrenz entscheidende Vorteile, denn der Sprachassistent ist auf allen Endgeräten schon vorinstalliert und einsatzbereit. Nutzer von Microsoft Windows oder Linux, müssen sich erst entsprechende Software installieren und diese ist teilweise sehr kostenintensiv. Hinzu kommt, dass VoiceOver innerhalb von Apple-Produkten plattformübergreifend funktioniert. Das erleichtert die Bedienung und den Wechsel zwischen verschiedenen Endgeräten, da die Funktionsweise des Assistenten auf allen Geräten gleich ist.

Im Vergleich zu anderen Sprachassistenten ist die Bedienung von VoiceOver intuitiv und leicht zu erlernen.

Facebook

"Facebook’s mission is to make the world more open and connected. And that goes for everyone." (zu deutsch: Facebooks Aufgabe ist es, die Welt offener und vernetzter zu machen. Und das gilt für alle.).

Bedienbarkeit der Webinhalte

Facebook hat extra Elemente in seinen DOM integriert, die für die Bedienung der Website ohne Maus vorgesehen sind. So kann die Komplexität der Anwendung reduziert und eine schnellere Navigation ermöglicht werden.

Diese übergeordnete Navigationsstruktur ermöglicht es dem Nutzer zu bestimmten Bereichen innerhalb der aktuellen Seite oder zu anderen Seiten innerhalb von Facebook zu springen. Der Nutzer erreicht das Dropdown-Menü über die Tab-Taste. Da das Menü innerhalb des Quellcodes das erste Element mit Links ist, wird es auch beim erstmaligen Betätigen der Tab-Taste aufgerufen.

Über das Menü gelangt der Nutzer beispielsweise direkt zum News Feed oder zum Messenger.

Automatisierter Alternativer Text (AAT)

Facebook arbeitet derzeit daran, automatisch generierte alternative Informationen für Bilder anzubieten. Seit dem 5. April 2016 gibt es den so genannten AAT (Automatic Alt Text) als Feature in Facebook.

Für die Erstellung des AAT wird ein neuronales Netzwerk zur Objekterkennung eingesetzt. Die erkannten Objekte werden dann - im optimalen Fall - in einen natürlichen Kontext gesetzt und zu einem Satz verbunden. Laut Matt King (Entwickler und Spezialist für Barrierefreiheit bei Facebook) sei die Technologie allerdings noch im Entwicklungsstadium, wie er in einem Interview am 6. Juni 2017 in San Francisco einräumt.

Die so entstehenden AAT werden über das HTML-Attribut alt zum jeweiligen Bild hinzugefügt. So können Landschaften, Personen und einfache Emotionen beschrieben werden. Häufig ist die Beschreibung jedoch sehr reduziert ("Bild könnte enthalten: 1 Person"), für einige Fotos ist gar kein alternativer Text verfügbar ("Kein automatischer Alternativtext verfügbar.").

Selbst wenn die Technologie noch in den Anfängen ist - auch eine wenig detaillierte Beschreibung eines Bildes macht für einen blinden Nutzer einen erheblichen Unterschied aus.

Vergleichbar mit AAT ist die seit enthaltene Funktion in Apples VoiceOver. VoiceOver erzielt bei der Beschreibung von Bildern ähnliche Ergebnisse wie Facebook, kann aber zusätzlich auf TTS [Text-To-Speech, Software zur Umwandlung von Text in Bildern in digitalen Text und in Sprache] zurückgreifen. Die beiden Tools konkurrieren nicht, aufgrund ihrer unterschiedlichen Interpretationen ergänzen sie sich und füllen das Ergebnis mit zusätzlichen Details. Umso mehr Details über Motiv, Emotionen oder Ort der Aufnahme in einer Beschreibung enthalten sind, desto lebendiger wird das Bild für den Nutzer.

Gesichtserkennung

Im Dezember 2017 hat Facebook seine Tools zur Gesichtserkennung für AAT geöffnet. AAT beinhaltet nun auch die Namen von Menschen, die per Gesichtserkennung auf Fotos automatisiert identifiziert werden konnten. Facebook gab dies in einem Post bekannt und beschrieb die Funktion in einem Video.

mbasic

Unter mbasic.facebook.com findet sich eine reduzierte und werbefreie HTML-Version von Facebook, deren Code komprimiert geliefert wird. Die Variante funktioniert ohne JavaScript und basiert gänzlich auf PHP. Im direkten Vergleich wird deutlich, wie gravierend der Unterschied tatsächlich ist.

Für den User bedeutet die Nutzung der mbasic-Variante konkret: schnellere Ladezeiten, weniger Ablenkung. Allerdings ist diese Variante des Social Media Netzwerkes nicht barrierefrei. Es fehlen Beschriftungen, Shortcuts und andere barrierefreie Bedienelemente, wie man sie in der Hauptversion von Facebook findet.

Google

"Jeder sollte auf das Web zugreifen und sei- ne Vorzüge genießen können. Wir setzen alles daran, dies zu verwirklichen." – Google

Google ist vor allem als Vorantreiber von innovativen Ideen und experimentellen Technologien bekannt. Mit dem mobilen Betriebssystem Android hat sich das Unternehmen weltweit einen Namen gemacht und erfreut sich derzeit einer Monopolstellung. Die direkte Konkurrenz iOS von Apple bietet im Grunde die gleichen Möglichkeiten und Features, ist aber aufgrund des Preisunterschiedes nicht so häufig vertreten wie Android.

Google stellt im Bereich Barrierefreiheit (siehe google.com/accessibility) drei Bereiche vor, für die entsprechende Tutorials, Software, Konzepte u.ä. zur Nutzung bereit liegen:

  1. Entwickler und Publisher: Android, Chrome, YouTube-Untertitel
  2. Unternehmen und Schulen: G Suite [Google Drive, Gmail, Chrome OS, etc.]
  3. Initiativen und Forschung: Schulungen [Webinare], Tests [Trusted Tester-Programm, Entwicklung und Bereitstellung von Software zum Testen auf Aspekte der Barrierefreiheit von Webinhalten und Apps] und beratende Tätigkeiten [in Ausschüssen und Gremien wie dem WCAG]

Damit deckt Google ein breites Spektrum in der globalen Gesellschaft ab und hält sich in allen für das Unternehmen relevanten Märkten.

YouTube

Seit 2006 ist Google Besitzer der Video-Plattform YouTube. Google hatte das Unternehmen damals für umgerechnet 1.3 Milliarden Euro übernommen und maßgeblich zu seinem Erfolg beigetragen: Auch nach über 10 Jahren hält YouTube in Deutschland über 80% der Marktanteile von Video-Sharing-Plattformen.

YouTube bietet seine Inhalte über seinen HTML5-Videoplayer an. Dieser ist vollständig mit der Tastatur bedienbar. Videos stehen in verschiedenen Qualitätsstufen zur Verfügung und können über embedding [Einbettung von externen Inhalten in eine Website] in andere Websites eingebunden werden. Der Player bietet zudem die Möglichkeit, die gesprochene Sprache über Untertitel automatisch in andere Sprachen zu übersetzen. Bildbeschreibungen sollen bald folgen. Das macht den Player zu einem unersetzlichen Tool für barrierefreie Webgestaltung. Durch ihn werden Videos barrierefrei zugänglich gemacht - und das bei einer minimalen Datenübertragungsrate.

Fazit zu 'Innovative Ansätze zur Barrierefreiheit im Web'

Große Unternehmen haben einen starken Einfluss auf die Entwicklung von barrierefreien Technologien. Durch die enge Zusammenarbeit mit Betroffenen können die real existierenden Nöte analysiert und bearbeitet werden. Technologien wie AAT beinhalten viel Potenzial und werden in Zukunft tragende Rollen im Accessible Web innehaben.

Es liegt letztlich an den Entwicklern und Designern, aus den Fehlern und aus den Erfolgen dieser Unternehmen zu lernen und die von ihnen zur Verfügung gestellten Technologien zu diskutieren, kritisieren und zu erweitern. Was tatsächlich zählt, ist der verantwortungsbewusste Umgang mit diesen Technologien und überhaupt die Anwendung. Wann immer möglich sollte in Betracht gezogen werden, dass es womöglich sinnvoller ist, bestehende Technologien zu nutzen, selbst wenn diese nicht zu 100% konform mit dem vorgegebenen Design sind [Beispielsweise der Einsatz des YouTube-Players zum Abspielen von Videos, welcher keine Möglichkeiten zur individuellen Gestaltung bietet, aber eine vollständige Funktionalität und Barrierefreiheit mitbringt].

Noch wichtiger, als der Einsatz solch innovativer und hilfreicher Technologien ist jedoch, dass die Grundlagen gegeben sind.