3.0 Blindheit

Definition

Blindheit ist eine Sehbehinderung. Im Gegensatz zu Myopie (Kurzsichtigkeit) und Hyperopie (Weitsichtigkeit), die in den Bereich der Ametropien (Fehlsichtigkeit) einzuordnen sind, lässt sich eine Sehbehinderung nicht mehr durch eine optische Hilfe wie eine Brille oder Kontaktlinsen ausgleichen.

Die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) definiert einen Blinden als einen Menschen, (Nummer 6a der Anlage zu § 2 Teil A: Allgemeine Grundsätze VersMedV, Stand: 09.06.2018). Darüberhinaus ist auch ein Mensch mit entsprechend definiertem Restsehvermögen als blind zu bezeichnen.

Die Qualität des Sehens wird generell als Visus angegeben. Der Visus gibt konkret die Sehschärfe an, dabei entspricht ein Visus von 1 bei einem Menschen umgangssprachlich einer Sehschärfe von 100%.

Um einen Führerschein zu erhalten, darf die korrigierte betragen (Nummer 2.2.1 der Anlage 6 zu den §§ 12, 48 Absatz 4 und 5 FeV, Stand: 09.06.2018).

Bei einer Restsehschärfe von spricht man von einer Sehbehinderung, eine hochgradige Sehbehinderung liegt bei vor und ab einem Visus von unter 0.2 (VersMedV) spricht man von Blindheit. Dabei kann durchaus noch eine Lichtwahrnehmung vorhanden sein.

Ursachen

Eine Studie des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2015, nennt als häufigste Ursache für Sehbehinderungen (inkl. Blindheit) (88%, einschließlich Impfschäden).

Laut einer weltweiten Studie der WHO in 2010, ist die mit Abstand häufigste Ursache für Erblindung durch Krankheit die Katarakt [Grauer Star] [51%]. Als zweithäufigste Ursache führt die WHO das Glaukom [Grüner Star] (9%) an.

Mit zunehmendem Alter steigt die Anzahl der Schwerbehinderten und damit die Anzahl der von Sehbehinderungen und Blindheit Betroffenen. Hinzu kommt, dass - ähnlich wie bei Myopie und Hyperopie - der Visus mit voranschreitendem Alter sinkt und die damit verbundenen Einschränkungen zunehmen.

Das bedeutet, dass es rein statistisch betrachtet in Zukunft zunehmend mehr Sehbehinderte Personen geben wird.

Blindheit im Alltag

Was unterscheidet den Menschen, dem alle fünf Sinne zur Verfügung stehen, von einem Blinden? Wie nehmen Blinde ihre Umwelt wahr, wie orientieren sie sich und wie kommen sie in Situationen zurecht, die für sehende Menschen alltäglich und banal erscheinen?

Diese und ähnliche Fragen müssen sich Gestalter und Entwickler stellen, wenn sie Design für Blinde konzipieren. Diese Fragen müssen nicht in ihrer Gänze, jedoch in Ansätzen beantwortet werden, um ein entsprechend grundlegendes Verständnis und Einfühlungsvermögen entwickeln zu können.

Interview

Olaf (52) aus Bremen wohnt mit seiner Freundin in Berlin. Er ist von Geburt an blind und kann kein Licht wahrnehmen.

Olaf ist ausgebildeter Musiktherapeut, Stenograf und Masseur und spricht 7 Sprachen. Deutsch, Englisch und Platt beherrsche er fließend, Norwegisch, Niederländisch, Italienisch und Französisch bedürften wohl einer Auffrischung, sagt er im Interview.

Musik habe ihn von Anfang an begleitet. Er spielt verschiedenste Instrumente, darunter Klavier, Gitarre und Mundtrommel, wirkt in Theaterproduktionen und kabarettistischen Stücken mit. In seiner Musik und auf Vortragsreisen beschäftigt er sich mit den Themen Aufklärung, Konfliktlösung und Inklusion.

Olaf sagt, er wünsche sich mehr Stabilität in der Gesellschaft, mehr Zusammenhalt und Beständigkeit innerhalb sozialer Strukturen, denn im Vergleich zu früheren Zeiten, in denen die Digitalisierung noch in ihren Anfängen war, ist es jetzt für ihn schwieriger geworden, an kulturellen Angeboten teilzunehmen und sich im öffentlichen Raum zu orientieren. Überhaupt von Veranstaltungen zu erfahren sei früher leichter gewesen, denn die Kommunikation innerhalb sozialer Gruppen und das Bekanntmachen von kulturellen Angeboten laufen heute vorzugsweise über das Internet ab. Olaf vermutet, dass ihm dadurch einiges entgeht.

Olaf lebt offline.

An seinem früheren Wohnort Marburg sei es als Blinder einfacher gewesen, sich im öffentlichen Raum zu orientieren, mit Blindenstock, über Raumakustik und bei Passanten. Heute in Berlin mache ihm die Lautstärke der Stadt und die zunehmend sinkenden Ortskenntnisse der Bürger zu schaffen. Die kennen einfach keine Straßennamen mehr. Alle verlassen sich blind auf ihre digitalen Navigationsgeräte.

In Zukunft wird sich auch Olaf mit dem Internet auseinandersetzen müssen, das für ihn bislang keinen Nutzen zu haben scheint, oder zumindest bisher nicht interessant genug für ihn war. Noch bezieht er seine Informationen aus Hörzeitschriften und Veröffentlichungen in Brailleschrift. Dadurch erfahre er von aktuellen Geschehnissen immer erst, wenn sie nicht mehr aktuell sind. Das Radio ist und bleibe jedoch sein liebstes Medium.

Interview vom 12.06.2018

Wege der Informationsbeschaffung

Literatur

Literatur ist für den Menschen ein unumgängliches Medium um Wissen zu erwerben und weiterzugeben. Bücher, Zeitschriften und Noten eröffnen uns Welten, die über die physikalischen Grenzen unseres eigenen Lebens weit hinaus gehen und uns träumen, verzweifeln, schmunzeln und mitfiebern lassen. Prägend für die Entwicklung sind vor allem die Märchen und Geschichten, die einem Kind vorgelesen und welche es wenig später in ersten eigenen Versuchen selbst verschlingen wird.

Laut einer Statistik des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest (mpfs) aus dem Jahr 2016 lesen ca. ein Drittel der befragten Kinder zwischen 6 und 13 Jahren einmal oder mehrmals in der Woche ein gedrucktes Buch. 15% der befragten Kinder gaben sogar an, fast jeden Tag zu lesen. Im Vergleich: etwa 9% der Jugendlichen und Erwachsenen ab 14 Jahren gaben im selben Jahr in einer Studie der IfD Allensbach an täglich zu lesen.

So formt das Lesen und Erleben von Geschichten und Abenteuern von Anfang an unseren Charakter.

Lesen zu können bedeutet aber auch sich informieren zu können. Das Recht auf Information ist sogar in Artikel 5 im Grundgesetz verankert. Staatliche Behörden sind demnach zur Auskunft und Aufklärung über Tätigkeiten und Sachverhalte verpflichtet. Das bedeutet, dass Behörden Information auch in leichter Sprache und für Menschen mit Sehbehinderung aufbereiten müssen.

Das gilt jedoch nicht für private Herausgeber/Verleger und Zeitschriften, berichtet Renata Kohn (Juristin beim DBSV [Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V.]) in ihrem Kommentar Ich würde gerne Zeitschriften am Kiosk kaufen.

Damit Blinde lesen können, müssen Bücher in speziell aufbereiteten Formaten vorliegen. Erfolgreiche sind etwa die Brailleschrift, Hörbücher und DAISY-Bücher. Im Gegensatz zum allgemein bekannten Hörbuch, werden im folgenden Abschnitt die Begriffe Brailleschrift, DAISY und EPUB näher beschrieben.

Brailleschrift

Mit nur 16 Jahren erfand Louis Braille 1825 in Frankreich ein Punktschriftsystem, welches sich ganz nach den Bedürfnissen von Blinden richtet. Über 6 binarische Punkte, angeordnet wie die Augen eines Würfels, lassen sich 64 verschiedene Zeichen darstellen [2^6 = 64]. Der blinde Leser erkennt die geprägten Schriftzeichen an den reliefartigen Erhebungen auf dem Papier. Die so genannte Brailleschrift ist seit 1879 in Deutschland als Schriftsprache anerkannt und einfach zu lernen. Bedingt durch den Herstellungsprozess und den Aufbau der Zeichen, benötigt Brailleschrift mehr Raum als andere Schriftsysteme, daher sind Bücher in Brailleschrift größer als gewöhnliche Bücher.

Mit dem Zeitalter der Digitalisierung wurde das Braille-Schriftsystem auf 8 Punkte erweitert [2^8 = 256]. Die zwei zusätzlichen Punkte befinden sich unterhalb der anderen sechs. Damit sind nun auch Sonderzeichen darstellbar, welche für den Umgang mit Braille im Internet notwendig sind.

Brailleschrift findet sich heute nicht mehr nur in Büchern. In Gesellschaftsspielen, auf Smartwatches wie der Dot Watch [Dot Watch ist eine Smartwatch des Herstellers Dot Inc mit Braille-Display.], findet man die kleinen Reliefs auch im öffentlichen Raum, etwa an Fahrstühlen, Schildern, Automaten und auf Verpackungen von Medikamenten.

Eine häufig verwendete Variante von Brailleschrift ist die Braille-Kurzschrift. Dabei werden Wörter um bestimmte Buchstaben verkürzt, um die Lesegeschwindigkeit zu steigern. Das Prinzip der Braille-Kurzschrift sei an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt.

Durch die Übersetzung von Literatur in Brailleschrift, werden Bücher auch für Blinde zugänglich gemacht. Die Produktionsmenge der barrierefreien Bücher ist jedoch sehr gering. Laut Peter Brass[^7] stünden . Barrierefreie Bücher aus dem Ausland stünden zudem unter den jeweiligen nationalen Urheberrechtsbestimmungen, was die Ausfuhr erschwere und teilweise sogar unmöglich mache.

Eine Möglichkeit zur Umgehung des Urheberrechts für Bücher in Brailleschrift soll der im Jahr 2013 von der WIPO[^8] beschlossene Vertrag von Marrakesch bieten:

Das würde auch Zeit werden, so der DBSV in einer Stellungnahme zur geplanten Umsetzung des Marrakesh-Vertrages vom 14.05.2018 [@dbsvMaraStNa]. Die geringe Verfügbarkeit von barrierefreier Literatur sei . Der DBSV kritisiert im Weiteren, dass der aktuelle Entwurf der Bundesregierung, zur Überführung des Marrakesch-Vertrages beinhalte, dass Ausgleichszahlungen an die Urheber zu verrichten seien, was eine enorme finanzielle Belastung für die Übersetzer bedeute, die größtenteils ehrenamtlich tätig seien.

Der Marrakesh-Vertrag soll im Jahr 2018 umgesetzt werden, ob er die vermag, bleibt abzuwarten.

DAISY

DAISY [Digital Accessible Information System] ist ein Hörbuch-Format mit Navigationselementen. Die DAISY-Hörbücher werden unter anderem von verschiedenen Blindenbüchereien produziert. Bei der Produktion wird für eine bestehende oder neu aufgenommene Tonspur eine digitale Strukturdatei erstellt. Diese ermöglicht die Navigation zwischen Kapiteln, Abschnitten, Überschriften, Sätzen und einzelnen Wörtern. Gegenüber einem gewöhnlichen Hörbuch, bei dem häufig nur zwischen Kapiteln navigiert werden kann, hat der Hörer eines DAISY-Hörbuchs mehr Kontrolle über die gewünschte Abspielposition.

Diese Technologie ist in etwa vergleichbar mit dem Einsatz eines Screenreaders für digitale Texte. Durch den Einsatz einer echten Stimme im DAISY-Hörbuch können im Vergleich zur neutralen und sachlichen Computerstimme des Screenreaders, mehr Emotionen transportiert werden. Das ist vor allem für ältere Zielgruppen angenehmer und besser zu verstehen. Das DAISY Hörbuch werde vor allem genutzt, um aus analogen Tonträgern bedienbare Hörbucher zu erstellen. Laut Elke Dittmer (Norddeutsche Büchereien für blinde und sehbehinderte Menschen, Geschäftsführerin) richte sich das DAISY Format demnach vornehmlich an Menschen, die keine Erfahrungen im Umgang mit Computern haben.

EPUB

EPUB [Electronic publication] ist ein gängiger Standard für eBooks. Ähnlich wie DAISY bietet das Format EPUB die Möglichkeit, Text, Bild und Ton zu verknüpfen. EPUB stimmt technisch mit DAISY überein und unterstützt darüberhinaus Dateiformate wie MP3 (Audio), MP4 (Video), JPG (Bild), GIF (Bild) und SVG (Vektorgrafik).

Über Apps wie Menestrello, lassen sich EPUBs mit Audiospur ausführen [Mehr Informationen dazu auf https://www.readbeyond.it/]. Auf dem Display sieht der Betrachter den Text, welchen er wie bei einem eBook an seine Bedürfnisse anpassen kann [Der Nutzer kann die Schriftgröße, Schriftfamilie, Farbe, Absatzformat u.a. im eBook-Format manuell einstellen und abändern. So lässt sich der Text an die individuellen Vorlieben anpassen.]. Nebenbei läuft die Audiospur, wobei der jeweils gelesene Satz auf dem Display farblich markiert ist.

Leider ist die erfolgreiche Integration des EPUB-Formats mit synchronisierten Audiospuren längst nicht nativ auf allen Systemen, sondern häufig nur über Software von Drittanbietern nutzbar. Software von Drittanbietern hat leider häufig den Nachteil, dass sie sich nicht an gängige Standards hält. Im Test mit Menestrello auf Android stellte sich beispielsweise heraus, dass die App nicht barrierefrei bedienbar ist (Stand: Juni 2018). Sie enthält beispielsweise Schaltflächen, die nicht beschriftet sind.

Das EPUB vereint Buch und Hörbuch und ermöglicht so ein ganz neues Level an barrierefreier Literatur - doch das Format EPUB hat ein Problem: es wird nicht ernst genommen. Viele verwenden es nur als erweitertes PDF, als Spielwiese mit animierten Grafiken. Das Potential, welches in dem Dateiformat steckt, wird nicht ansatzweise ausgeschöpft.

Vollständig funktionsfähige und barrierefreie Reader für EPUBs gibt es wenige. Zu ihnen zählen Microsoft Edge und Readium (Google Chrome Erweiterung) [Getestet mit William Shakespeare, Sonnets. Electronic edition curated by Alberto Pettarin for ReadBeayond. Frei verfügbar unter: https://bit.ly/2LhBCGb, Abgerufen am 4. Juni 2018].