1. 0 Einleitung

Die im Prolog exemplarisch vorgestellten Szenarien beschreiben Barrieren aus den Bereichen Kognition, Technik, Motorik und Physik, wie sie uns täglich begegnen (könnten). Mit wachsenden Fähigkeiten und Erfahrungen haben wir gelernt, uns diesen Barrieren und auch neuen Herausforderungen zu stellen. Technologie kann dabei einen entscheidenden Unterschied machen, denn einige Barrieren können wir aufgrund von physiologisch-anatomischen und psychischen Gegebenheiten nicht (oder nur zu Teilen) bewältigen.

Um den produktiven Einsatz von Technologie zur Überwindung von Barrieren darzustellen, sei jeder der zuvor beschriebenen Situationen ein konkreter Lösungsansatz exemplarisch zugeordnet.

Nach Hause - Kognition Ohne entsprechende Kenntnisse können wir in einer fremden Sprache nicht lesen. Dieser Umstand verstärkt sich, wenn sich die geschriebene Schrift nicht des lateinischen Alphabets bedient.

Mobile Apps wie Camera Translator [Camera Translator von App World Studio im Googe Play Store, abgerufen am 21.05.2018.], die mit OCR (optische Zeichenerkennung) ausgestattet sind, ermöglichen es uns, selbst chinesische Schriftzeichen in eine für uns lesbare Sprache zu übersetzen. Dazu muss lediglich ein Foto des Textes durch die App analysiert werden [Smartphone mit Kamera und aktive Internetverbindung vorausgesetzt.]. Die Übersetzung für die chinesische Passage lautet übrigens: "Die Straße zu Ihrer Linken bringt Sie nach Hause" [Erfolgreich getestet mit Camera Translator, 21.05.2018.].

Eine freudige Überraschung - Motorik Wenn aufgrund einer körperlichen Beeinträchtigung oder Einschränkung (angeboren, an den Folgen einer Erkrankung, verursacht durch einen Unfall), die Funktionalität einer Extremität versagt, erschwert das die simpelsten Aufgaben enorm.

Die Versteifung des Arms und der Hand sorgt im Beispiel dafür, dass das Zerkleinern von fester Nahrung für den Protagonisten zu einer großen Herausforderung wird. Eine Schere oder ein freundlicher Nachbar könnte als technische Hilfe genutzt werden.

Der gelbe Ball - Physik Augenkontakt mit der Sonne, einem Laser oder einem Schweißgerät kann die Netzhaut nachhaltig schädigen. Auch wenn das Tragen einer Sonnenbrille beim Fußball kein ungefährlicher Umstand für den Protagonisten wäre, Schutz vor zu grellem Licht würde es allemal bieten.

Auf dich kann ich mich verlassen - Technik Eine technische Barriere wie ein defekter Drucker, ließe sich für den Protagonisten dieser Geschichte beispielsweise durch die Nutzung eines Online-Tickets umgehen [Smartphone vorausgesetzt]. Durch das Vorzeigen der digitalen Kopie auf dem Smartphone, ließen sich so für die Kontrollen im Flughafen Papier und Sorgen einsparen.

Problemstellung und Ziele dieser Arbeit

Dass es mittlerweile die technischen Möglichkeiten gibt, viele (alltägliche) Barrieren zu überwinden, ändert nichts an dem Umstand, dass viele dieser Barrieren weiterhin existieren werden und neu entstehen.

Während sich das Web kontinuierlich weiter entwickelt und neue Möglichkeiten entstehen, wie Nutzer auf Informationen zugreifen, können diese innovativen Konzepte und Strukturen gerade für Nutzer mit visuellen Einschränkungen den Zugriff auf die eigentlichen Inhalte blockieren [Einige Anwendungen haben die Funktionalität und Einfachheit durch Ästhetik und Attraktivität ersetzt. (Übersetzung des Autors)]. Die optische Gestaltung überwiegt die inhaltliche Qualität.

Es sei dazu folgende These aufgestellt: Barrieren müssen geschaffen werden, sie sind kein natürlicher Zustand. So soll im Rahmen dieser Arbeit erforscht werden, ob es möglich ist, die Entstehung von Barrieren im Web verlustfrei [bezugnehmend auf visuelle Gestaltungsmerkmale] zu vermeiden.

Nach diesem Grundsatz werde ich in dieser Arbeit verschiedene Aspekte der Barrierefreiheit im Web herausstellen und innovative Ansätze, Technologien und Methoden vorstellen.

Ich werde explizit nach Ursachen für die Entstehung von Barrieren in Webinhalten suchen und Möglichkeiten erörtern, wie diese für zukünftige Projekte vermieden werden könnten.

Bei meiner Recherche und meinen Ergebnissen werde ich mich ausschließlich auf Barrieren konzentrieren, denen Blinde bei der Bedienung von Webinhalten begegnen. Ich konzentriere mich dabei absichtlich auf diese spezielle Gruppe. Das tue ich nicht, weil ich ich es nicht für nötig halten würde, die Bedürfnisse anderer Gruppen zu betrachten, sondern weil dies schlicht den Rahmen dieser Arbeit überschreiten würde. Ich möchte im Mindesten der Gruppe der Blinden im Detail gerecht werden.

Ich werde außerdem die Bemühungen und Ansätze großer Unternehmen zum Thema Barrierefreiheit erwähnen und innovative Lösungsansätze und Möglichkeiten vorstellen, definierte Standards und Trends diskutieren und eigene Erkenntnisse und Erfahrungen im Umgang mit selbigen präsentieren.

Darüberhinaus werde ich konkrete Empfehlungen für Gestalter und Entwickler aussprechen, wie sich Barrieren bei der Gestaltung von Webinhalten vermeiden lassen. Im Kapitel "Vermeidung von Barrieren" werde ich ein Konzept darlegen, wie die Erkenntnisse aus den vorangegangenen Kapiteln für Gestalter und Entwickler in eine Informationsplattform integriert werden können.

Im Laufe der Evolution hat der Mensch gelernt, dass die Weitergabe von Wissen für seine Spezies von essentieller Bedeutung ist. Das Medium der Schrift hat sich als besonders geeignet erwiesen, um Wissen und komplexe Sachverhalte für die nachfolgenden Generationen zur Verfügung zu stellen, seien es simple Darstellungen von Funktionsabläufen oder Aufzeichnungen über komplexe technologische Errungenschaften.

Vor einer besonderen Herausforderung stehen jene, die nicht dazu in der Lage sind, Schrift zu erkennen und zu lesen. Blinde Menschen sind darauf angewiesen, dass Information für sie zugänglich gemacht wird - und das ist längst keine Selbstverständlichkeit. Die Erfindung der Braille Schrift im Jahre 1825 durch den Franzosen Louis Braille, ermöglicht es blinden Menschen seither, mit den Fingern zu lesen. Die Sprachausgabe von Computern ermöglicht es, Text in Ton zu verwandeln. Doch noch immer gibt es zu wenige Produkte, die in Brailleschrift verfügbar sind - zu viele Websites, die für die Sprachausgabe über einen Screenreader nicht optimiert sind.

Derzeit lässt sich beobachten, dass sich das Internet, durch seine an Komplexität zunehmenden Strukturen, immer weiter davon entfernt zugänglich zu sein. Durch den Einsatz von experimentellen Technologien, interaktiven Inhalten und einem immer dichter werdenden Dschungel aus Information, wird es immer schwieriger, den Überblick zu behalten und wertvolle Information von Werbung und Clickbait [Nutzer werden mit falschen Versprechungen und inszenierten Inhalten angelockt. Die Qualität des zugehörigen Artikels ist meist minderwertig.] zu unterscheiden.

Besonders das Vertrauen in die Authentizität vieler Seitenbetreiber und Nachrichtenplattformen leidet und wird seit 2016 durch den vom US-Amerikanischen Präsidenten Trump geprägten Begriff Fake News begleitet. Eine Studie aus den USA (2016) zeigt beispielsweise, dass das Vertrauen in die auf Facebook geteilten Nachrichtenbeiträge erschreckend gering ist: nur 11% der Befragten gaben an, dass sie dem, was ihre Facebook-Kontakte innerhalb der Plattform teilen, Vertrauen entgegenbringen. 20% gaben sogar an, Nachrichten auf Facebook gar nicht zu trauen. Damit schneidet Facebook im Vergleich zu anderen Nachrichtenquellen am schlechtesten ab. Hinzu kommt, dass sich das Internet noch nie entsprechend hochwertiger, transparenter und nachvollziehbarer Angaben, von nach bestem Gewissen und Wissen recherchierten Quellen rühmen konnte. Auch die Eignung von Quellen aus dem Web als Ressource für Zitate, ist aufgrund der stetigen Veränderung von Inhalten und Strukturen nicht ausreichend ausgeprägt.

Barrierefreiheit verstehen lernen

Um Barrieren im Web zu vermeiden, müssen die folgenden Fragen geklärt werden:

  1. Was bedeutet Barrierefreiheit?

  2. Welche Anreize gibt es, Produkte barrierefrei zu entwerfen?

  3. Welchen wirtschaftlichen Nutzen kann Barrierefreiheit haben?

  4. Wie werden barrierefreie Technologien im Web angewandt?

Die Welt, die der Mensch erschafft, baut in großen Teilen auf der Annahme auf, alle Menschen seien dazu in der Lage, die selbe Leistung abzurufen, die gleichen Dinge wahrzunehmen und die wichtigsten Zusammenhänge verstehen zu können. Das trifft jedoch auf eine Vielzahl an Menschen nicht zu. Deutschlandweit gibt es in 2015 etwa 7,6 Millionen schwerbehinderte Menschen. Menschen mit Behinderung sind dabei ganz gewöhnliche Menschen - es sind die Situationen, in denen sie sich befinden und der Umgang mit selbigen, die außergewöhnlich sind.

Ziel dieser Arbeit soll es sein, ein Grundverständnis gegenüber blinden Menschen und deren Umgang mit dem Web, sowie die Fähigkeit zu entwickeln, Barrieren bei der Erstellung von Webinhalten zu vermeiden.

Um dem Ziel gerecht zu werden, muss der Leser also zunächst erkennen, für welche Personengruppe (und den damit verbundenen individuellen Bedürfnissen) Erkenntnisse und Lösungsansätze erarbeitet werden sollen.

Dazu gehört demnach auch, die normalen Abläufe, alltäglichen Vorgänge der Problemlösung und individuell variierende Ausprägungen von situationsbedingtem Verhalten kennenzulernen, zu analysieren und zu verstehen. Erst wenn sich ein entsprechendes Verständnis gefestigt hat, kann der Entwickler oder Gestalter auch diese Personengruppe in sein Design-Konzept mit einbeziehen. Letztlich kann dieses Verständnis eine Brücke zwischen den zwei genannten Personengruppen (Gestalter und Blinder) bilden. Das ist wichtig, da die benannten Gruppen für gewöhnlich parallel zueinander existieren, jedoch selten miteinander in Kontakt treten, vorausgesetzt, dass keine persönlichen Relationen bestehen. Wenn kein Austausch, keine Kommunikation stattfindet, kann kein inklusives Konzept entstehen.

Warum es sich lohnt Barrieren zu vermeiden

Immer wieder werden neue Technologien erfunden (und hoch gelobt), die bestimmte Bereiche des Lebens für Menschen mit Behinderungen zugänglich machen sollen.

Als Beispiel dafür sei der im Juni 2018 vorgestellte USB-Standard für Braille-Displays genannt. Konkret bedeute das, dass in Zukunft (voraussichtlich 2019) keine Treiber mehr installiert werden müssen, bevor verschiedene Braillezeilen an einem Computer genutzt werden könnten.

Das ist zwar grundsätzlich eine gute Sache, hätte aber von Anfang an so konstruiert werden können. Die ersten Versuche digitale Signale von einem Computer in Brailleschrift umzusetzen wurden in den USA bereits 1984 von John V. Becker patentiert.

In keinem Fall ist die Anpassung des Konzepts der Konnektivität von Braille-Displays an gängige USB-Standards erst im Jahr 2019 (also 35 Jahre später), Grund zur Begeisterung und Anlass sich einer tollen Erfindung zu rühmen. Vielmehr kommt dieser notwendige Schritt mit großer Verspätung.

Beispiele wie dieses gibt viele. Diese Art von Nachrüstung gibt es nicht nur in technischer Umgebung und in Bezug auf Blinde, sie begegnet uns täglich in den verschiedensten Bereichen. Seien es durch die Bauart bedingte, der technologischen Entwicklung zum Zeitpunkt der Erfindung geschuldete oder durch Menschen verursachte Einschränkungen, sie alle haben einen gemeinsamen Fehler: Bei der Erstellung des Konzepts und bei der Umsetzung wurden Fehler gemacht und/oder notwendige Schritte nicht gegangen. Solches hätte man in vielen Fällen umgehen können, wenn man Betroffene als Berater hinzugezogen hätte.

Ein prominentes Beispiel für solche Unachtsamkeiten ist in der Vergangenheit immer wieder die Planung des öffentlichen Raums in Städten gewesen.

Im Jahr 2018 wird der U-Bahnhof Karl-Marx-Straße in Berlin umgebaut. Der 92 Jahre alte Bahnhof bekommt endlich einen Personenaufzug. Elektronische Aufzugsanlagen gibt es in Deutschland übrigens seit 1880 [Werner von Siemens].

Der Bahnhof von Barnten (Niedersachsen) hat 3 Gleise. Auf Gleis 1, welches vollständig barrierefrei ausgebaut ist, halten ausschließlich Güterzüge. Gleis 2 und 3, an denen die Personenzüge halten, sind nur über eine Treppe und Brücke erreichbar. Einen Aufzug oder eine anderweitig zugängliche Möglichkeit zur Überquerung der Gleise gibt es nicht (Stand: 2014).

Als letztes Beispiel für schlecht geplanten Städtebau sei die Straßenbeleuchtung in der Andreasstraße in Erfurt aufgeführt. Die moderne Anlage besteht aus LED-Laternen, die nicht hell genug sind, um die unter ihnen liegenden Gehwege ausreichend auszuleuchten. Die Folge ist, dass die Passanten die Straße in der Nacht meiden (Stand: 2018).

Im Vergleich zu diesen sehr offensichtlichen konzeptuellen Fehlern, sind in Webinhalten verborgene Fehler - die zur Folge haben, dass die Bedienbarkeit einer Website eingeschränkt ist - wesentlich häufiger anzutreffen. Es gibt zudem unzählige Anwendungen, Apps und Websites, die keinerlei oder nur unzureichende barrierefreie Strukturen aufweisen.

Es lässt sich also zusammenfassen, dass viele Barrieren und Unzugänglichkeiten dadurch entstehen, dass unzureichende Maßnahmen ergriffen werden und der Begriff Barrierefreiheit in der Entwurfs- bzw. Konzeptphase zu wenig Aufmerksamkeit findet.

Neben dem Konzept spielt auch das visuelle Design eine tragende Rolle. In einigen Fällen ist die Entscheidung darüber, ob ein Medium barrierefrei gestaltet werden soll oder nicht, von der visuellen Gestaltung abhängig. Der Gedanke, dass inklusives Design für normale Menschen eine Barriere darstelle und somit unzumutbar sei, führt häufig dazu, dass sich das Layout und die äußere Gestaltung nicht an barrierefreien Maßstäben orientiert.

Bestehende Projekte müssen in der Regel nachgerüstet werden, sobald sich die Gesetzeslage ändert. Häufig ist die Korrektur und die Überarbeitung der einzelnen Anwendung für ihren Betreiber mit hohen Kosten und einem entsprechend großen Aufwand verbunden.

Fast scheint es so, als wären Behinderungen eine Erfindung der Neuzeit oder bisher niemandem aufgefallen. Das ständige Nachrüsten von Technologien, damit sie barrierefrei werden, kostet viele Mühen, Geld und vor allem Zeit. Häufig müssen Menschen mit Behinderungen lange warten, bis ein bestimmter Bereich für sie zugänglich gemacht wird. Auf die Übersetzung des neuen Romans der Spiegel-Beststeller Liste in Brailleschrift, muss ein Blinder beispielsweise mehrere Monate warten, da erst das Urheberrecht mit dem Verleger verhandelt werden muss.

Wirtschaftliche Bedeutung von barrierefreien Anwendungen

Was häufig unterschätzt wird ist die wirtschaftliche Bedeutung von barrierefreien Anwendungen. Blinde seien zudem besonders treue Kunden, da sie dazu neigen würden, einen Dienst wiederholt in Anspruch zu nehmen, wenn der Umgang mit selbigem für sie angenehm und ohne Hindernisse stattfinden kann (Brass 2018).

Darüberhinaus sind Blinde als Teil der arbeitenden Gesellschaft durchaus in der Lage, diverse Berufe auszuüben, was sie zu einem ganzheitlichen Teil der Wirtschaftskraft macht.